Auflösung der Panzerjäger-Truppe



Quelle: www.deutschesheer.de


Munster, 16.02.2006

Seit 2005 ist der Raketenjagdpanzer JAGUAR 1 außer Dienst gestellt, die Panzerjägertruppe aufgelöst. Die wechselvolle Geschichte einer stolzen Truppengattung ging zu Ende. Lesen Sie mehr über den finalen Prankenhieb der gepanzerten Großkatze.
Der Transformationsprozess für den Umbau der Bundeswehr zur hoch modernen Armee im 21. Jahrhundert läuft auf vollen Touren. Ein Reformwerk, mit dem sich die deutsche Streitmacht für die Zielstruktur 2010 fit macht und konsequent an den wahrscheinlichsten Einsatzaufgaben ausrichtet. Landesverteidigung an Deutschlands Grenzen ist dabei dauerhaft der unwahrscheinlichste Einsatzfall - so steht es in den Verteidigungspolitischen Richtlinien. Mit Vollendung der durchgreifenden Neukonzeption werden die Streitkräfte im künftigen Fähigkeitsprofil Heer überaus professionell aufgestellt sein: zukunftsfähig in der Bewaffnung, mit überlegenen High-Tech-Geräten und Führungssystemen ausgerüstet, bedrohungsgerecht und äußerst flexibel in Struktur und Gliederung sowie auftragsoptimiert in den Einsatzgrundsätzen. Die Folge: Die Stärke- und Ausrüstungsnachweise der Heerestruppengattungen werden klar dem Aufgabenspektrum wahrscheinlichster Einsatzaufgaben angepasst. Die maßgeschneiderte Neuausrichtung der Streitkräfte wirkt sich als nachhaltiger Innovationsschub aus und zugleich als komplexe Militärreform, die keine "stille Nischen" kennt. Waffensysteme, die für das zeitgemäße Aufgabenprofil nicht nachrüstbar sind und somit über keine einsatzadäquate Kampfwertsteigerung verfügen, entsprechen nicht dem Realisierungsplan der neuen Bundeswehr im Strukturmodell 2010. Folglich sind sie, weil nicht zukunftsfähig, außer Dienst zu stellen. Und so bleibt auch "Liebgewordenes" im deutschen Heer von der alles durchdringenden Transformation nicht verschont.

Ausphasung Jaguar 1 abgeschlossen
Ab 2006 ist es endgültig: Aus für die Panzerjägertruppe im deutschen Heer und Ende einer fast siebzigjährigen Waffentradition. So zieht die ausgemusterte Truppengattung Panzerjäger unwiderruflich in die Annalen der Militärgeschichte ein. Ende 2005 wurde das letzte Waffensystem Raketenjagdpanzer "JAGUAR 1" aus der Truppe abgesteuert - zur zivilen Restverwertung. Ausphasung aller Raketenjagdpanzer-Systeme JAGUAR 1 abgeschlossen, so der materialwirtschaftliche Terminus, wenn die letzte Schraube eines Waffensystems die Truppe verlassen hat. Faktisch waren die Panzerjäger - zuletzt als Panzerjägerzüge in die sechsten, "schweren" Kompanien der gepanzerten Kampftruppe eingegliedert - schon ab Frühjahr 2005 sukzessive aus den Panzergrenadierbataillonen des Heeres verschwunden.

Hintergrund für die Außerdienststellung der Raketenjagdpanzer: Das neue Einsatzspektrum und technologischer Fortschritt. Denn seit dem Zerfall des kommunistischen Machtblocks ist das Bedrohungsszenario eines an konventionellen Kampfpanzern und mechanisierten gepanzerten Waffensystemen überlegenen, mit offensiver Militärdoktrin operierenden Warschauer Paktes Weltgeschichte. Eine Panzerlawine, aus einem Großmanöver mit massiver Luft- und Artillerieunterstützung scharf nach Westen eindrehend, um in groß angelegter Angriffsoperation nach Westeuropa vorzustoßen, strategisch gesehen, Schnee von vorgestern. Aber genau für die Abwehr solcher Angriffsschläge war der Raketenjagdpanzer konzipiert. So lautete der frühere Auftrag der Panzerjäger auch folgerichtig: Mit den an Reichweite überlegenen Panzerabwehrlenkflugkörpern angreifenden Panzerfeind frühzeitig abnutzen und zerschlagen. Und so sah es auch der "General Defence Plan" der North Atlantic Treaty Organisation für den Verteidigungsfall Deutschlands und Westeuropas vor. Wirkten die Kampfpanzer der achtziger Jahre noch auf eine Kampfentfernung von rund 2000 Meter, konnte der Raketenjagdpanzer mit seinen Lenkflugkörpern 4000 Meter weit schießen und gepanzerten Feind mit hoher Reichweitenüberlegenheit erfolgreich bekämpfen - also noch bevor dieser seine Bordkanonen treffsicher einsetzen konnte. Technologisch ist dieser Reichweitenüberhang überholt, der JAGUAR 1 für das Gefechtsszenario des 21. Jahrhunderts veraltet. Moderne Kampfpanzer verfügen durch die Leistungssteigerung von Panzerkanonen über einen inzwischen auf 3000 - 4000 Meter angehoben Wirkungsbereich. Damit ist der Reichweitenüberhang des JAGUAR 1 so stark geschmolzen, dass alle vorteilhaften operativen und taktischen Einsatzoptionen entfallen sind.

Schon aufgrund seiner geringen Feuergeschwindigkeit und der zu langen Flugdauer der drahtgesteuerten Panzerabwehr-LFK, wäre der JAGUAR 1 im Gefechtsfeld der Zukunft eher ein Ziel, denn ein Gegner. Und so gilt eine klare militär-ökonomische Logik, streng nach dem Gesetz des Produktlebenszyklus: Nach MARDER kommt PUMA, nach LUCHS kommt FENNEK. Das ist Fortschritt. Die bei der Panzerjagd bestehende Wirkungslücke wird nun luftgestützt abgedeckt: Der neue Kampfhubschrauber TIGER übernimmt künftig das Jagdrevier seines bodengestützten Vorgängers.

Dennoch, ganz ohne Pathos verlief die Auflösung der Panzerjägertruppe naturgemäß nicht. Die V. Inspektion der Panzertruppenschule (links), bis zuletzt als "Panzerjägerschule" zentrale Ausbildungsstätte, sorgte mit einem Moratorium für einen würdigen Abgang.



Letztes Rendezvous der Panzerjäger

Truppenübungsplatz Bergen, Schießbahn 1A. Auflösungsappell Panzerjägertruppe mit rund 50 Panzerjägersoldaten. Ernste Minen begleiten das Zeremoniell. Letztes Gedenken und Zeit für Reden. 1943 aus der Taufe gehoben, sei die moderne Panzerjägertruppe ein Ergebnis bitterer Kriegserfahrung. Letztlich eine entscheidende Antwort auf ein Panzerabwehrproblem großen Stils an der Ostfront, sei die Aufstellung der Panzerjägertruppe gewesen. Denn mit dem Kampfpanzer T-34 hätte die Sowjetarmee über ein kampfstarkes und zahlenmäßig überlegenes offensives Waffensystem verfügt. Der russischen Panzerüberzahl mit Panzerabwehrkanonen-Riegeln Herr zu werden, sei schnell fehlgeschlagen.

Erst mit dem Jagdpanzer "HETZER" (links), dem Prototypen des modernen Jagdpanzers, sei es der Panzertruppe gelungen, ein wirksames Gegenmittel einzusetzen. Beachtlicher Reichweitenvorteil und hoher Durchschlagskraft: Damals seien Einsatzprinzipien entwickelt worden, die über die Dauer des Kalten Krieges und alle Waffensystemgenerationen hinweg, Gültigkeit behielten, so Oberstleutnant Jörg Wagener, Chef V. Inspektion bei seinem historischen Rundumschlag. Auch Brigadegeneral Klaus Feldmann, General der Panzertruppen und Kommandeur der Panzertruppenschule resümiert: " Grün, Rosa, Schwarz, Grün immer wieder wechselten Sie die Kragenspiegel- und Barettfarben. Vom Kanonenjagdpanzer bis zum JAGUAR 1, Technik-, Unterstellungs- und Taktikwechsel waren das Beständige der Panzerjäger."

Feldmanns Schlussrhetorik: "Trotz der Auflösung bleiben Panzerjäger hoch qualifizierte Spezialisten, bei denen sich Qualität und Karriere stets die Klinke in die Hand gaben. Schauen Sie mit Waffenstolz zurück und mit Elan in die Zukunft. Die Bundeswehr braucht Sie!"

Die letzte Rakete

Nun beginnt die eigentliche Abschlussprozedur: Panzerjägerhandwerk pur! Von der SB-Basis reicht der Blick weit ins karge Vorgelände. Sinnberg heißt die markante Höhenrippe am Horizont. Sichtstrecke 4000 Meter. Ideales Jagdrevier für "gepanzerte Raubkatzen". Auf der Betonplatte der Basis lauern drei Raketenjagdpanzer JAGUAR 1 - warten auf den letzten Einsatzbefehl. Langsam schleicht sich eine "Raubkatze" vom Hof. Ein kurzes Prasseln der Ketten auf dem Beton, ein Rechtsschwenk in die Böschung, schnell ist die Kontur des Jagdpanzers ins Wäldchen eingetaucht. Stellung bezogen. Wachsam dreht der Stahlkoloss den "kleinen Kopf". Große Augen, die nach Beute suchen, so wirkt die Drehbewegung des würfelförmigen Aufsatzes auf dem Panzerdach, der Optiken, Wärmebildgerät und Periskopzielfernrohr beherbergt.

Auf der Basis fachsimpelten die Panzerjäger weiter. Plötzlich: Ein ohrenbetäubender Knall. Wie auf Kommando reißen die gesprächsvertieften Panzerjäger ihre Köpfe nach links. Wabbernd und laut zischend quirlt eine Rakete vom Typ HOT 2 durch die Luft. Sekunden später stabilisiert sich die Flugbahn. Deutlich hebt sich der glühend heiße Rückstrahl vom Horizont ab. Ein heller Lichtpunkt schraubt sich durch die Luft. Dann wird das Verbrennungsleuchten kleiner, die Flugbahn immer gestreckter. Der Grund für die "Flugreise": Sinnberg, rechts davon, vier Hartziele. Alte Kampf- und Schützenpanzer stehen dort als realistischer Zielbau. Feuerblitz und aufsteigende Detonationswolke folgen: Feind vernichtet! Sekunden später trägt die Schallwelle den Treffer ans Ohr. Noch 31 Mal wird jetzt ein Lenkflugkörper zielsicher explodieren.

Die Panzerabwehrrakete HOT 2, Hauptwaffensystem des JAGUAR 1, ist ein mit Kupferdraht gesteuerter LFK, der mit einer Tandem-Hohlladung ausgestattet ist. Das Wirkprinzip: Als Hochgeschwindigkeitsgeschoss, verfügt der LFK in seiner Spitze über einen Stachel aus Wolfram - das ist ein Element mit extrem hoher Dichte - sowie einer Hohlladung aus TNT-Sprengstoff. Beim Zielanflug legt der LFK ständig an Geschwindigkeit zu. Dies verleiht der Ladung erhebliche kinetische Energie. Beim Geschossaufprall wirkt der Wolframstachel als Penetrator - also quasi als Türöffner. Denn bei der Detonation entzündet sich die TNT-Hohlladung und beschleunigt den Wolframstachel dabei zeitgleich so, dass sich dieser durch den Panzerstahl "schweißen" kann. Die enorme Reibungshitze dringt in den Kampfraum und verbrennt dabei sämtlichen Sauerstoff. Das Ergebnis ist eine verheerende Vernichtungswirkung im Panzerinnern.

Der 31. Abschuss. Die letzte "Raketenreise" naht. Von der LFK-Abschussrampe wickelt sich noch einmal ein Kupferdraht von einer Spule ab und sendet dabei elektrische Impulse an den Flugkörper. So wird der LFK für den Richtschützen, vorn mittig im Panzer platziert, manövrierbar. Maximal 16 Sekunden braucht ein Raketengeschoss, um in 4000 Meter Kampfentfernung die durchschlagende Vernichtungswirkung zu entfalten. Sicherheitsoffizier Stabsfeldwebel Wilhelm Buchterkirchen und Hauptfeldwebel Peter Schneider, Kommandant des "schießenden Teils", zwei altgediente Panzerjägerausbilder, erleben ihren "schwarzen Tag". Für sie wird nun ein dreiviertel Jahrhundert deutscher Panzerjagdgeschichte zu Grabe getragen.

Dennoch. "Auch der letzte Schuss muss sitzen! Das sind wir Panzerjäger uns schuldig! Ein Drahtabriss am LFK, undenkbar und unwürdig!", sagt Schneider und fährt in Stellung. Wagener, in Personalunion Leitender und Zugführer, funkt die Zielzuweisung: "Delta Eins, aus Richtung Sinnberg, rechts davor, vier Feindpanzer! Sie den zweiten von links. Feuer frei!". Eingeschliffene Kommandos und Handgriffe im Kampfraum von Delta Eins folgen. Rasch klärt Kommandant Schneider den Feind auf und gibt Feuerkommando. Der Richtschütze überprüft den Feuerbefehl mit Blick durch Wärmebildgerät und Tagoptik. "Zielbestätigung!", antwortet der Richtschütze und wiederholt den Befehl. Routinierte Arbeitsschritte folgen: Betriebsschalter auf "Tag", Rampenschalterstellung auf "Ausfahren". Die Rampe auf dem Dach des Kampffahrzeugs greift in das Trommelmagazin. Für einen Sekundenbruchteil strahlt Sonnenlicht in den ABC-geschützten, weiß gestrichenen Innenraum. Nun wird sich gleich der definitiv letzte LFK der Panzerjäger sein Ziel suchen. Die Rampe fährt aus. Der Richtschütze entsichert. Das Schauzeichen in der Taglichtoptik zeigt "Feuer frei". Abgefeuert! Der LFK startet mit einer Verzögerungszeit von einer halben Sekunde. Dann, zwei Sekunden Rauch vor der Optik, bevor der Zielvorgang weiter geht. Mit ruhiger Hand prüft der Richtschütze im Visierkreuz, ob der Visierpunkt denkungsgleich auf dem zu bekämpfenden Panzerziel liegt. Ja, LFK-Triebwerksstrahl und Flugbahn signalisieren schon jetzt den zu erwartenden Treffer. Auch Nummer 32 "landet planmäßig" im Ziel: Feindpanzer vernichtet!

Ein unspektakuläres Knallgeräusch ist jetzt zu hören, der kupferne Übertragungsdraht dabei abgesprengt worden. Die Rampe verschwindet im Kampfraum. Letzter Stellungswechsel, dann rollt der JAGUAR zurück zur Basis. So wie immer, ist das letzte Panzerjägerschießen verlaufen. Auch am letzten Tag beherrschen die Panzerjäger ihr Geschäft aus dem "F.F."! Ein Kaptitel deutscher Militärgeschichte ist beendet.

Auch wenn der JAGUAR geht ,der "ständige Gefechtsauftrag zur Panzerabwehr" bleibt!






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